Preisträger 2024
Bulle
Verlegung des Bahnhofs und des Stadtkerns
Lange wurde Bulle als ein Ort betrachtet, dessen grosse Dynamik sich auf die Nähe zur Autobahn A12 stützte. Heute setzt die Stadt stattdessen auf die Schiene und hat sich die dafür erforderlichen Mittel an die Hand gegeben. Der Bahnhof wurde um 300 Meter nach Norden verlegt, wodurch der Rahmen für eine grundlegende Neukonzeption der Intermodalität und der zukünftigen Entwicklung des Stadtzentrums geschaffen wurde. […] Über die hohen städtebaulichen Qualitäten des Konzepts mit den hölzernen Vordächern und den Granitböden hinaus schätzte die Jury die entschlossene und grosszügige Vorgehensweise der Behörden und der TPF (Freiburgische Verkehrsbetriebe) sowie ihren gemeinsamen Willen, das Mobilitätsverhalten positiv zu beeinflussen.
Nominiert
Altdorf (UR)
Leistungskennzahlen
1. Warum drängte sich eine Verlegung des Bahnhofs auf?
Seit 30 Jahren verzeichnet Bulle ein anhaltendes, starkes Bevölkerungswachstum. Von 12 000 Personen im Jahr 1990 stieg die Zahl der Einwohner bis heute auf 26 000 an. Das entspricht einem durchschnittlichen Wachstum um 470 Einwohner/Jahr. Für die kommenden Jahre wird gar mit einem jährlichen Anstieg um 800 Einwohner gerechnet. Insofern drängte sich die Suche nach einem neuen Standort für den Bahnhof aus mehreren Gründen auf. Die Weiterentwicklung des Angebots gestaltete sich auf dem engen Baugrund des früheren Bahnhofs schwierig. Weiter war der ehemalige Bahnhof nur mit grossem Aufwand an die Anforderungen des BehiG anzupassen. Darüber hinaus bestand der Wunsch, Bulle besser an das nationale Eisenbahnnetz anzubinden und auch die Busschnittstelle war in die Jahre gekommen.
Die Gemeinde hatte das Glück, am nördlichen Stadtrand in 300 Meter Entfernung des Bahnhofs über Grundstücke und alte Lagerhäuser zu verfügen. Die Planung für die Neugestaltung erfolgte in drei Schritten. Ein Studienauftrag legte im Juli 2013 den Grundsatz einer Verlegung des Bahnhofs fest. Zwischen 2014 und 2018 wurde ein Detailbebauungsplan ausgearbeitet und zwischen 2018 und 2020 das Konzept für die Gestaltung des öffentlichen Raums erarbeitet. Die Genehmigung erfolgte im Dezember 2020.
Durch den Bau eines neuen Bahnhofs konnten die umfangreichen Bauarbeiten durchgeführt werden, während der Bahnbetrieb parallel dazu am alten Bahnhof weitergeführt wurde. Es dauerte nur zwei Jahre, bis der neue Standort im Dezember 2022 in Betrieb genommen werden konnte. Der neue Bahnhof umfasst sieben Gleise und sechs Perrons. Zudem wurde das Meterspurgleis bis Broc (5,5 km) durch die Normalspur ersetzt. Der gemeinsame Streckenabschnitt mit der Linie nach Châtel-St-Denis / Palézieux wurde mit einer dritten Schiene ausgestattet, um beiden Spurweiten gerecht zu werden. Darüber hinaus wurden im Gleiskorridor im Hinblick auf die weitere städtische Entwicklung zahlreiche Anpassungen für den Veloverkehr vorgesehen.
2. Ein neues Mobilitäts- und Stadtbild
Der neue Bahnhof strahlt eine starke Identität aus. Er ist grosszügig konzipiert und verfügt über eine gut lesbare Organisation. Auf den ersten Blick fallen den Reisenden die sehr schönen Vordächer aus Lärchenholzleisten über den Perrons auf. Das entstehende Licht-Schatten-Spiel verleiht der breitflächigen Überdachung der Perrons Tiefe und Struktur. Der Weg der Reisenden führt durch eine geräumige Unterführung (Höhe: 3,45 m, Breite: 12,30 m, Länge: 62,00 m), die sich zum Bahnhofsplatz hin öffnet, der sich nach und nach als zentraler Punkt des Standorts etabliert. Auf der anderen Seite mündet die Unterführung in eine monumentale Treppe, die die Verbindung zu den neuen Stadtvierteln und dem zukünftigen Kulturzentrum im historischen Depot „La Remise“ herstellt.
Beim Betreten des Bahnhofsplatzes erstreckt sich rechts das neue Bahnhofsgebäude, das auch Platz für Geschäfts- und Wohnräume, ein 4-Sterne-Hotel und ein Einkaufszentrum bietet. 60 Meter weiter vorne befinden sich die vier Busperrons für die Stadtlinien, die im Dezember 2025 auf der linken Seite des Platzes mit den Perrons der Regionalbuslinien ergänzt werden. Die Böden der Unterführung und des Bahnhofsplatzes sind aus Tessiner Granit, was die Qualität und das einheitliche Erscheinungsbild des Ortes betont.
Die neue Wohninsel “Lécheretta”, das TPF-Gebäude (Bahnhofsgebäude) und der Bahnhofsplatz festigen die Funktion der Albert-Rieter-Strasse als natürliche Verbindung zum Stadtzentrum. Die Strasse und die Schnittstelle der Stadtbusse befinden sich in einer Tempo 20-Zone, während im dahinter verlaufenden Chemin des Crêts Tempo 30 gilt.
Im Norden der Bahngleise wurde ein zwei Kilometer langer Veloweg auf eigener Trasse gebaut (Grünstreifen). Sein Pendant auf der Südseite der Gleise wird zu einem späteren Zeitpunkt umgesetzt. Eine Rampe mit getrennter Fussgänger- und Velo-Spur gewährleistet die Verbindung zwischen dem Grünstreifen (bzw. Perron 1) und dem Bahnhofsplatz. Unterhalb des Grünstreifens wurde eine Velostation mit 260 Plätzen eingerichtet und rund um den Bahnhof stehen weitere 200 Veloabstellplätze zur Verfügung.
Alle Einrichtungen sind selbstverständlich für Personen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich. Besonders hervorzuheben ist, dass die TPF-Schalter auch für Personen im Rollstuhl konzipiert sind. Erwähnenswert ist auch, dass für Personen mit eingeschränkter Mobilität ein doppelter Zugang zu den Perrons möglich ist, einerseits über eine Rampe mit 10-Prozent-Steigung, andererseits über einen Lift, der vorbildlich in die Treppenarchitektur eingebettet wurde.
Des Weiteren wurden die 90 bestehenden P+R-Plätze über dem ehemaligen Regionalbusbahnhof, in 100 m Entfernung der Unterführung, beibehalten.
3. Globale Verkehrsverlagerungs-Strategie
Das Projekt ist Teil des Bestrebens, den Modal Split zu fördern. Der Bebauungsplan sah für den Bahnhofsbereich 0,5 Parkplätze pro Wohnung vor. Derzeit werden nicht alle Plätze genutzt.
Die von Rolex geplante Schaffung von Tausenden von Arbeitsplätzen stützt sich auf ein Verhältnis von 0,3 Parkplätzen pro Arbeitsplatz. Die Herausforderung besteht nun darin, den Individualverkehr zu verringern und das Parkplatzangebot der bereits vorhandenen Unternehmen zu reduzieren.
Der nächste Schritt ist die Einrichtung des Busbahnhofs für die regionalen Linien im Westen des Bahnhofsplatzes (die Bauarbeiten haben sich aufgrund der Massnahmen zur Sanierung der belasteten Böden verzögert). Längerfristig wird über dem Busbahnhof der Regionalbuslinien ein Gebäude entstehen, das den Bahnhofsplatz abgrenzt.
Auch wenn das Projekt innert nur zehn Jahren geplant und umgesetzt wurde, würde man heute das Parkhaus wahrscheinlich auf die Standfläche der Gebäude begrenzen und den Bahnhofsplatz mit Bäumen bepflanzen, statt eine begrünte Insel um die Lüftungsschächte des Parkhauses herum zu gestalten.
Last but not least: Alle Akteure (TPF, Gemeinde, Kanton, private Akteure) haben sich stark in das Projekt eingebracht und unterstützen es seit Jahren mit grosser Überzeugung. Es ist nur logisch, dass eine solche kollektive Entschlossenheit zu einem aussergewöhnlichen Ergebnis führt.